Die Welt der kleinen Fanny

 

 

Dort am Rand der großen Weide, in dem roten Ziegelhaus lebte vor langen Jahren die kleine Fanny.

Zu gerne streifte sie jeden Tag über die Wiesen und durch die Büsche vor dem nahen Wald.

Immer wieder brachte sie ein verletztes Tier nach Hause, das sie auf ihren Streifzügen gefunden hatte. Da war der kleine Sperling, der aus dem Nest gefallen war. Fridolin nannte sie ihn und fütterte ihn geduldig mit einer kleinen Pinzette und dem Futter, das ihre Mutter vorbereitete.

Ach und Pepi, das kleine Reh, sie fand es in einer Wiese, ganz eng an seine tote Mutter gekauert. Sie nahm es voller Mitgefühl mit nach Hause und kümmerte sich. Wie ein kleines Hündchen folgte Pepi bald dem kleinen Mädchen auf Schritt und Tritt und es war sehr schwer, es, als es groß genug war, wieder im Wald auszusetzen. Doch Fanny wusste, dass die Tiere den Wald und die Freiheit in der Natur brauchten.

Die kleinen Igel, Max, Ratz und Puck hatte sie nahe der Straße gefunden. Fast wären sie verhungert, doch Fanny schaffte es, sie wieder aufzupäppeln und so kamen sie nach wie vor von Zeit zu Zeit durch den Garten getrollt, um kleine Leckereien in Empfang zu nehmen.

Eines Tages hörte Fanny verzweifeltes Flügelschlagen und entdeckte eine Taube mit gebrochenem Flügel. Ganz leise und beruhigend sprach sie auf das verängstigte Tier ein und konnte es dann mit nach Hause nehmen. Mama legte eine Schiene mit Verband an und Fanny fütterte Polly, wie sie sie genannt hatte.

Mit der Hilfe von Mama und Papa konnte sie alle wieder gesund machen und zurück in Wald und Wiesen bringen.

Auch wenn die meisten Erwachsenen immer lächelten und meinten: “Fanny ist wunderlich“, ließ das kleine Mädchen sich nicht aufhalten. Sie unterhielt sich mit den Blumenelfen, den Waldkobolden, den mächtigen Baumelben und den albern herumkugelnden Trollen.

„Aber Fanny, die gibt es doch nicht!“ Die anderen Kinder kicherten und hielten Abstand, denn dieses zarte Mädchen mit den leuchtenden Augen war ihnen unheimlich.

Und dann zogen sie um. Der Papa hatte eine neue Arbeit gefunden und die Wohnung war nicht weit weg von seinem Büro.

„Wir behalten ja das Haus, kommen am Wochenende und in den Ferien hier zurück.“ Mama versuchte, Fanny zu trösten, weil diese so gar nicht in die Stadt wollte.

„Schau, du kommst doch bald in die Schule und da ist es auch ganz nah, denn man kann fast hinsehen“.

Die hohen Häuser und die lauten Straßen ängstigten das Kind.

„Wo sind denn die Elfen und Trolle?“, flüsterte sie, als sie in dem Häusermeer spazieren gingen. Ab und zu stand ein Baum am Straßenrand und vor den Häusern zogen sich schnurgerade Vorgärten lang. In Reih und Glied standen die Blumen und das Gras war superkurz geschnitten. Doch nirgendwo sah das kleine Mädchen das Leben, das sie gewohnt war. Starr und steif kam ihr alles vor, so wie auf einem Plakat.

Immer häufiger zog sie sich in ihr Zimmer zurück und saß am Fenster, schaute hinaus, doch so, als ob sie in weiter Ferne etwas suchen würde.

Als dann das Fieber sie ins Bett bannte, wurden ihre Augen trübe und sie wirkte kleiner denn je.

„Schatz, auf was hättest du denn Lust, du musst doch etwas essen. Sag mir, was du die wünschst. Oder soll ich dir eine Geschichte erzählen?“

Doch Fanny reagierte gar nicht.

So lange war Fanny jetzt schon krank. Blass lag sie in ihrem Bett. Das Fieber war zwar weg, doch das ohnehin sehr zarte Mädchen hatte keine Kraft, aufzustehen. Alle sorgten sich sehr, denn sie wurde und wurde nicht gesund. Der Doktor wusste keinen Rat mehr.

Wo war denn nur das fröhliche kleine Mädchen geblieben, das früher so wild und ausgelassen durch die Tage tanzte.

Die Eltern waren in großer Sorge und der Arzt schüttelte den Kopf.

„Da ist die Seele krank.“ Seine Diagnose stand fest. „Dieses Kind gehört nicht in die Stadt, das sieht man. Sie ist wie eine zarte Blume, die nicht verpflanzt werden darf. Hier kann sie nicht gesund werden.“

So wurden wieder einmal die Koffer gepackt und das kleine Mädchen in warme Decken gewickelt. Der Vater war bereit, eine längere Anfahrt zur Arbeit in Kauf zu nehmen, die Gesundheit des Kindes ging vor.

So kamen sie bei strahlendem Sonnenschein an ihrem Haus wieder an und setzten Fanny in einen schnell bereit gestellten Liegestuhl.

„Wir sind wieder zu Hause, schau mein Kind, wir sind zu Hause.“ Mama strich ihr über das Haar und hoffte, dass das teilnahmslose Gesicht der Tochter wieder zu Leben erwachen würde, dass die Augen ihr Strahlen wiederbekommen würden.

Fanny hörte zwar die Worte, doch sie war zu müde, um die Augen zu öffnen. Sie wollte nur schlafen. Doch was war das? Stimmen kamen näher, leise, zart, zwitschernd, raschelnde Bewegungen waren zu hören. Etwas Feuchtes stieß sie an und sie fühlte ein Fell an ihrer Hand, Flügelschlag fächelte Luft auf ihre Wangen und ganz langsam, mühsam, öffnete sie einen kleinen Spalt ihre Augen und hielt fast die Luft an.

Sie waren alle gekommen. Auf den Blumen saßen die Elfen und winkten mit kleinen Federn, die Trolle schlugen Purzelbäume auf der Wiese. An ihrer Hand leckte Pepi, Fridolin saß auf der Lehne des Stuhls. Vom Beetrand aus schauten sie sechs runde Augen an.

„Max, Ratz, Puck, ihr seid auch gekommen?“ Fanny flüsterte, mehr ging noch nicht, aber voller Glück sprach sie alle ihre Freunde nun leise an und ihre Augen wurden größer und glänzten, die Wangen röteten sich.

Die Mutter erschrak, als sie das Kind sah, glaubte sie doch, das Fieber sei wieder gestiegen, doch nein, Stirn und Wangen blieben kühl.

„Danke Mama, danke, dass ich alle meine Freunde wieder habe.“

Und es dauerte nicht lange, da sprang Fanny wieder singend und lachend durch die vertraute Welt.