Buchausschnitt: Die goldene Rose

Die goldene Rose

 

 

1. Der Regenbogenfisch

 

Vor langer Zeit lebten eine Königin und ein König in ihrem großen Land, waren bei allen Bewohnern beliebt, doch waren sie sehr traurig, denn sie wünschten sich so lange schon  Kinder. 

An einem sonnigen Tag saß die Königin Hallina am See und schaute den Fischen, Enten und Schwänen zu. Alle hatten ihre Kleinen bei sich und schwammen spielend, tauchend und Futter suchend umher. Sie seufzte und rief:

"Ach ihr lieben Tiere, sagt mir doch nur, wie ich zu wenigstens einem Kind kommen könnte. Ich wünsche es mir so sehr!"

Da kam ein großer, in Regenbogenfarben schillernder Fisch ganz nah ans Ufer geschwommen, hob seinen Kopf aus dem Wasser und fing zu ihrem Erstaunen an, zu sprechen.

 „Frau Königin, euer Schmerz hat ein Ende, wenn ihr genau das tut, was ich sage. Dann wird euer sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen."

"Aber ja, sag mir, lieber Fisch, wer bist du, wie kannst du uns helfen, was muss ich tun?"

"Wer ich bin? Das ist nicht wichtig, doch raten will ich euch. Komm mit dem König, deinem Mann, beim nächsten Vollmond wieder an diesen See. Er soll eine Angel auswerfen. Den Fang, den er machen wird, soll er ausnehmen, aber nichts von den Innereien wegwerfen. Den Rest muss er in drei gleiche Teile zerlegen. Das erste Teilstück esst ihr beide gemeinsam, das zweite Stück gebt ihr euren beiden Lieblingshunden und das dritte euren beiden Leibpferden. Den Magen vergrabt ihr in eurem Garten, das Herz legt in eine gläserne Urne und den Rest müsst ihr fein hacken und den Tieren des Waldes bringen. Nach neun Monden werdet ihr dann Eltern. Doch eins müsst ihr wissen: Auf euer Kind wird eine große Aufgabe zukommen. Was immer auch passiert, steht ihm bei, behindert es nicht, sonst werdet ihr es verlieren und auch euer ganzes Königreich. Versprich es mir."

Die Königin versprach es gerne, bedankte sich und eilte nach Hause. Aufgeregt erzählte sie ihrem Mann von der Begegnung und nur wenige Tage mussten sie sich gedulden, dann war Vollmond.

Gemeinsam machten sie sich auf den kurzen Weg zum See. König Hantar warf seine Angel aus und gar nicht lange trieb sie im Wasser, da ruckte es an ihr. Der König zog die Schnur aus dem Wasser und beide wunderten sich, denn es hing daran ein glänzendes Säckchen. Als sie das Säckchen öffneten, lag darin ein Fisch, wie sie ihn noch nie sahen. Er war ganz aus Gold und kaum wagten sie, den Anweisungen, die der Regenbogenfisch der Königin gegeben hatte, zu folgen, um ihn zu zerteilen, weil er ihnen viel zu kostbar erschien.

Doch sie gingen heim und teilten den Fisch in drei Teile auf. Jedes Teil des Fisches schimmerte innen und außen golden. So aßen sie den einen Teil, fütterten Hunde und Pferde mit den beiden anderen, vergruben den Magen direkt unter dem Schlafzimmerfenster und der Glasmacher schuf auf Befehl eine wunderschöne mundgeblasene Glasschale für das Herz, welche sie dann in eine Vitrine stellten. Mit den gehackten Eingeweiden gingen sie in den Wald und verstreuten alles weitflächig. Sie waren noch nicht gegangen, da strömten auch schon die Tiere des Waldes herbei und begannen, die Stückchen zu fressen und auf dem Heimweg meinten sie, viele Dankesrufe der Vierbeiner und besonders schöne Vogelstimmen zu hören.

Nun begann die Zeit des Wartens und bald bemerkte die Königin, dass neues Leben unter ihrem Herzen wuchs.

Unter dem Schlafzimmerfenster wuchs ein Busch heran, die Stute bekam ein Fohlen und die Hündin einen einzigen Welpen. Und genau zum neunten Vollmond gebar die Königin eine Tochter.

Das ganze Volk feierte mit dem Königspaar. Die Dichter und Sänger rühmten das neugeborene zarte Mädchen, das so wunderschöne goldene Locken hatte und deren Haut auch bei Licht immer golden schimmerte. Daher gaben die Eltern ihr den Namen Ghely-Rose, denn Ghely bedeutete in der alten Zeit Golden und Rose, weil sie rosig und wunderschön wie eine kleine Rose aussah.

 

 

 

 

 

2 Der 16. Geburtstag

 

Die Jahre eilten vorüber und König und Königin gingen immer wieder zum See, um dem Regenbogenfisch zu danken. Mit ihnen kam die kleine, nun heranwachsende Ghely-Rose. Um sie herum tobten Aurita, das Stutenfohlen und Aura, die kleine Hündin. Auch die beiden Tiere fielen allen auf, denn ihr Fell war goldglänzend. Das Königspaar machte sich aber trotz der großen Freuden, die ihr Kind ihnen jeden Tag machte, immer wieder Gedanken, was es wohl sei, wofür ihre Tochter ausersehen war. Wie gerne hätten sie den Fisch gefragt, doch sie sahen ihn nicht mehr.

 

Ghely-Rose war bei allen ein sehr beliebtes Kind und viele der Dorfkinder kamen immer wieder zum Schloss und spielten mit ihr. Sie lernte tanzen, reiten und schwimmen, aber natürlich hatte sie auch eine Lehrerin, die ihr alles das beibrachte, was ein Kind so in der Schule lernen muss. Damit ihr das nicht zu langweilig wurde, lernten die Kinder des Schlossverwalters Hopkins, Melisa und Hanke, mit ihr zusammen. Oft tobten sie durch den Schlosspark, ritten über die Felder oder saßen am Schlossteich.

 

Der Busch vor dem Schlafzimmer wuchs ganz normal, wurde groß und stark, bekam auch Blätter, die an den Rändern etwas golden schimmerten, hatte aber keine Blüten und alle schauten immer wieder ganz gespannt, ob er wohl Blüten treiben würde. Und siehe da, am 16. Geburtstag der Prinzessin Ghely-Rose war er über und über mit Blättern und goldenen Rosenknospen bedeckt. Welch eine Überraschung und Freude.

Die große Geburtstagsfeier begann, denn in jenen Zeiten war der 16. Geburtstag der Schritt ins Erwachsenenleben. Die Prinzessin trug ein wunderschönes Kleid, dass aus zartgrüner Seide genäht und über und über mit goldenen Rosen bestickt war. Zu diesem Geburtstag hatte sie außerdem einen goldenen Haarreif bekommen, der in der Mitte eine goldene Rose trug, auf dem, wie kleine Tautropfen, 16 Diamanten blitzten.

„Sieht sie nicht wunderschön aus?“ Alle waren begeistert über das schöne Mädchen, das so prächtig geschmückt war.

So kamen von fern und nah die Menschen, um ihrer Prinzessin zu gratulieren und Geschenke zu bringen. Auch die Könige, Fürsten anderer Länder waren geladen und zwischen Essen und Trinken wurde getanzt, gesungen und gelacht. Gaukler und Musikanten zeigten ihre Darbietungen im Schlossgarten und ein wundervolles Feuerwerk krönte die Nacht. Ghely-Rose und ihre Freunde, die natürlich auch alle da waren, wussten gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollten.

"Oh danke, ihr lieben Leute, tausendfachen Dank, dass ihr mir meinen Tag so wunderschön gestaltet habt!" rief Ghely-Rose immer wieder, während sie von einem zum anderen Saal eilte.

Plötzlich stand eine krumm gewachsene alte Frau vor ihr. Sie passte so gar nicht zu den anderen Gästen, denn ihre Kleidung war schäbig und vielfach geflickt.

"Ghely-Rose, Ghely-Rose, heute musst du mit mir kommen, die Zeit ist reif!" Mit diesen Worten griff sie nach Ghely-Roses Hand, um sie mitzuziehen, doch da stellten sich die Königin und der König neben ihre Tochter und hielten sie fest.

"Alte Frau, was willst du von unserer Tochter, sie feiert ihren Geburtstag und kommt sicher nicht mit!" Er hob die Hand und auf sein Zeichen hin ergriffen zwei Wachen die Frau, die sich in den Moment reckte und mit mächtiger, alles übertönender Stimme rief:

"König, König, lass sie gehen, sonst verlierst du dein Kind ganz und dein gesamtes Königreich dazu, erinnere dich an euer Versprechen, das ihr dem Fisch einst gabt! Dann wird auch Niemand Schaden nehmen.“

Erschrocken ließen die Wachen sie los, da erhob sie beide Arme, die Lichter im Saal flackerten,  ein heller Schein umfloss sie, groß wurde sie, jung und schimmernd sah sie plötzlich aus und ihre Stimme hallte weit:

 

"Alles ist wahr, alles wird klar!

Der Glaube sei stark

an das Mädchen so zart.

Es wird das geschehen,

was wir noch nicht sehen

und das, was wir wollen,

lösen wir sollen.

Die Liebe ist Kraft,

die Unmögliches schafft.

Drum weicht dunkle Mächte

erhellt Finsternächte.

Mit der Rose hellem Schein

wird Ghely-Rose das Reich befrei‘n.“

 

Ihre Arme sanken herab, ein dumpfer Schlag ertönte und schlagartig erloschen alle Lichter. Laut schreiend liefen die Gäste durcheinander, tasteten sich zum Ausgang, obwohl der König rief:

„Bewahrt die Ruhe, liebe Freunde, gleich ist es wieder hell!“ und noch bevor die Lakeien die Kerzen in den Wandlampen und den Kronleuchtern wieder entzünden konnten, flackerten diese kurz und brannten dann so hell, wie zuvor.

„Ghely-Rose, Ghely-Rose!“ Die Königin rief nach ihrer Tochter, doch es kam keine Antwort. Alle liefen weiter völlig sinnlos herum, einige begaben sich auf die Suche nach dem Geburtstagskind, andere verließen fluchtartig das Schloss, stiegen in ihre Kutschen und fuhren schnellstens heim.

 

 

Wie es weitergeht erfahrt Ihr, wenn das Buch erscheint